Der 17. Deutsche Verwaltungsgerichtstag in Münster ging am 7. Juni 2013 nach drei Tagen zu Ende. Er fand mit etwa 1000 in  und ausländischen Teilnehmenden aus Justiz, Anwaltschaft, Wissenschaft, Verwaltung sowie dem öffentlichen Leben statt, die die vielfältigen Veranstaltungen und Diskussionen durchweg als vollen Erfolg bewerteten. Der Kongress wurde am Mittwoch, dem 5. Juni 2013, in Anwesenheit des Justizministers des Landes Nordrhein-Westfalen Thomas Kutschaty eröffnet.

In seiner Eröffnungsrede würdigte der Vorsitzende des Bundes Deutscher Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterinnen Dr. Christoph Heydemann die 150jährige Geschichte der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit als Erfolgsgeschichte. Er rügte die ungerechtfertigten Benachteiligungen der Richter bei der Anpassung der Besoldung in etlichen Bundesländern; die Politik ignoriere die im Grundgesetz garantierte besondere Stellung der Richter.

Der ehemalige Richter des Bundesverfassungsgerichts Prof. Dr. Udo Di Fabio (Universität Bonn) stellte bei seinem Festvortrag zur Frage „Zentralität oder Zentrifugalität: Wohin treibt Europa?“ fest, die europäische Krise sei vor allem eine Krise der politischen Mentalität: So habe man bei dem Versuch, wirtschaftliche Wachstumseffekte durch öffentliche Haushalte zu steuern, überzogen. Auch stehe die Hilfe für Mitgliedstaaten in finanzieller Schieflage nicht an erster Stelle. Die Europäische Union lebe davon, dass ihre Mitgliedstaaten eigenverantwortlich seien. Er erteilte der Fortentwicklung der Europäischen Union zu einem Bundesstaat eine Absage. Eine solche Entwicklung werde von den Völkern abgelehnt. Europa dürfe indes nicht bei jeder wirtschaftlich schwierigen Lage in Frage gestellt werden. Die Mitgliedstaaten seien verpflichtet, ihre Hausaufgaben zu machen und Anstrengungen zu unternehmen, um den europäischen Binnenmarkt als Garantie für den Wohlstand zu erhalten.

Lebhaft und kontrovers, wurde in den insgesamt 13 Arbeitskreisen des Verwaltungsgerichtstages diskutiert. Die wesentlichen Ergebnisse im Überblick:

Reaktionen des Rechts auf kommunale Finanzprobleme

Beleuchtet wurden die kommunalen Finanzprobleme im Spannungsverhältnis zwischen der Selbstverwaltungsgarantie der Gemeinden und den rechtlichen Vorgaben zur Sicherung der finanziellen Handlungsfähigkeit. Prof. Dr. Janbernd Oebbecke (Universität Münster) forderte eine konsequente Anwendung des kommunalaufsichtsrechtlichen Instrumentariums. Kommunen, die es unterließen, ihre Einnahmequellen auszuschöpfen, dürften nicht als unterfinanziert gelten und nicht der finanziellen Unterstützung durch Land und Bund gewiss sein. Kommunen, denen es nicht gelinge, ihren Haushalt auszugleichen, müssten automatisch verpflichtet werden, die Grundsteuer anzuheben. Regierungspräsident Prof. Dr. Reinhard Klenke (Bezirksregierung Münster) machte die einbrechenden Einnahmen und die wachsenden Ausgaben für Sozialleistungen für die dramatische Verschlechterung der finanziellen Situation der Kommunen in den letzten Jahren verantwortlich. Das Einsparpotential vieler notleidender Kommunen sei bereits jetzt weitgehend ausgeschöpft. Kürzungen der freiwilligen Ausgaben bewirkten zumeist einen Verlust der Attraktivität der jeweiligen Gemeinde. Erforderlich sei eine behutsame Vorgehensweise. Aufgabe der Kommunalaufsichtsbehörden sei es, die Gemeinden bei der Aufstellung von Sparkonzepten und Haushaltssanierungsplänen zu beraten und zu unterstützen.


Subventionsrecht

Prof. Dr. Dirk Ehlers (Universität Münster) forderte ein deutsches Gesetz mit genauen Vorgaben für die Vergabe und Kontrolle von Subventionen. Ein solcher so genannter nationaler Ordnungsrahmen empfehle sich auch deshalb, weil sich die grundgesetzlichen Begrenzungen der Subventionen von den europarechtlichen Zielen der Beihilfenkontrolle unterschieden. Zudem bedürfe es spezieller deutscher Subventionsgesetze für Subventionen von sehr hohem Wert. Beispielsweise gebe es im Außenhandel Subventionierungen in Milliardenhöhe. Die Bereitstellung von Geldbeträgen im Haushaltsgesetz genüge nicht in allen Fällen. Aus dem grundgesetzlichen Demokratieprinzip folge, dass das Parlament derartig hohe Subventionen durch besonderes Gesetz regeln müsse. Der von der Bundesregierung regelmäßig erstattete Subventionsbericht erfasse einen beträchtlichen Anteil der Wirtschaftsförderung mit enormer Bedeutung für den Haushalt gar nicht.


Verbandsklagen im Umweltrecht – aktueller Stand, Perspektiven und praktische Probleme

Das Thema hat durch die jüngere Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und die Novellierung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes eine neue Dynamik erfahren. Nach Auffassung von Prof. Dr. Max-Jürgen Seibert (Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen) und Rechtsanwalt apl. Prof. Dr. Martin Gellermann (Osnabrück) verpflichtet Art. 9 Abs. 3 der Aarhus-Konvention nicht zur Einführung einer Verbandsklage im Umweltrecht. Der Gesetzgeber sei aufgerufen, die Einwendungsfristen zu verlängern, weil die geltenden Fristen in der Praxis nicht einzuhalten seien.


Abschied vom deutschen Ausländerrecht? Europarechtliche Provokationen

Prof. Dr. Jan Bergmann (Verwaltungsgericht Stuttgart) forderte eine grundlegende Reform des nationalen Ausländerrechts. Das geltende Recht verstoße gegen die Grundsätze der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit. Es werde in allen wesentlichen Bereichen durch Europarecht überlagert. Hierdurch sei es nahezu unmöglich geworden, allein „durch einen Blick ins Gesetz“ die für einen Ausländer geltenden Rechte und Pflichten zu erkennen. Einer Vereinfachung bedürften insbesondere die unübersichtlichen Regelungen des Rechts der Ausweisung von Ausländern aus dem Bundesgebiet.


Menschenrechtsschutz im Ausländerrecht

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stellt die Souveränität und Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für das Aufenthaltsrecht von Ausländern im eigenen Staatsgebiet grundsätzlich nicht in Frage. Die deutsche Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg Prof. Dr. Dr. h.c. Angelika Nußberger zeigte jedoch zahlreiche Einschränkungen auf, denen Ausweisung und Abschiebung von Ausländern nach der Europäischen Menschenrechtskonvention unterlägen. Die sehr stark auf den jeweiligen Einzelfall bezogenen Entscheidungen des Gerichtshofes gründeten immer in dem Bestreben, einen effektiven und einheitlichen Schutz der Menschenrechte zu gewährleisten. Dabei seien für die Straßburger Richterinnen und Richter die Berücksichtigung und gerechte Abwägung aller Umstände des Einzelfalles von entscheidender Bedeutung. Die Berücksichtigung nationaler Besonderheiten werde gerade durch den nationalen Hintergrund und die beruflichen Erfahrungen der von den Mitgliedstaaten benannten Richter gewährleistet. Gegenwärtig seien über 120.000 Verfahren von Angehörigen der 47 Mitgliedstaaten gegen nationale staatliche Maßnahmen anhängig.


Europarechtliche Einflüsse auf das deutsche Beamtenrecht

Prof. Dr. Heinrich Amadeus Wolff (Universität Frankfurt/Oder) zeigte anhand zahlreicher Bespiele auf, wie das Europarecht das deutsche Beamtenrecht bereits geändert habe und weiterhin verändern werde. Er forderte ein Gesetz zur Absicherung des verfassungsrechtlichen Streikverbots für Beamte.


Elektronischer Rechtsverkehr – Vision, Illusion oder Bedrohung?

Ein weiterer Arbeitskreis des Verwaltungsgerichtstages befasste sich mit der Frage, wie die Durchführung der Prozesse vor den Verwaltungsgerichten den Anforderungen der modernen Informationsgesellschaft angepasst werden kann. Die elektronische Aktenführung bei Verwaltungen und Gerichten, Klageerhebungen per E-Mail, die Gewährung von Akteneinsicht über das Internet und die multimediale Ausstattung von Gerichtssälen sind keine Zukunftsmusik mehr. Nach ersten Testphasen wird die flächendeckende Einführung den Verwaltungsprozess in absehbarer Zeit entscheidend umgestalten. Die Referenten sahen in der Entwicklung einen erheblichen Mehrwert.


Funktionen und Leistungen richterlicher Ethik
Judicial Ethics in Europe – Richterethik in Europa

Der Verwaltungsgerichtstag diskutierte unter Beteiligung zahlreicher ausländischer Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungsrichter Fragen der richterlichen Ethik. Prof. Dr. Fabian Wittreck (Universität Münster) bescheinigte der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit die Einhaltung eines hohen ethischen Standards. Er sprach sich gegen eine schriftliche Fixierung richterethischer Regeln aus. Mitglieder der Vereinigung Europäischer Verwaltungsrichter diskutierten die Lage in Europa.


Begegnungen der Verwaltungsgerichtsbarkeit mit der Demokratie

Prof. Dr. Christoph Möllers (Humboldt-Universität Berlin) beschäftigte sich mit der Frage, wie die deutsche Verwaltungsgerichtsbarkeit, die nach seiner Überzeugung im internationalen Vergleich eine hervorragende Stellung einnehme, ihre Akzeptanz in der Bevölkerung noch weiter verbessern  könne. Er begrüßte es, dass sich die Verwaltungsrichterschaft in Deutschland ein politisches Verständnis bewahrt habe und nicht in eine künstliche Neutralität zurückziehe; allerdings warnte er vor einer hervorgehobenen politischen Betätigung. Die Besonderheit, dass die Verwaltungsgerichte staatliche Stellen seien, die staatliche Behörden kontrollierten, verlange die Wahrung der erforderlichen Distanz. Dem werde es eher gerecht, wenn Verwaltungsrichter Streitigkeiten durch Urteil entschieden, statt wie Moderatoren im Verhältnis von Bürger und Staat auf die Behebung behördlicher Fehler hinzuwirken.


Post- und Neowestfälische Elemente im gegenwärtigen Völkerrecht der Friedenssicherung

Am Ort des Westfälischen Friedens von 1648 hob der Völkerstrafrechtler Prof. Dr. Claus Kreß (Universität Köln) die Bedeutung der westfälischen Ordnung als Idealtypus einer ausschließlich zwischenstaatlich gedachten und ganz der Souveränität der Staaten verpflichten Völkerrechtsordnung hervor. Die auf dem Prinzip der Nichteinmischung beruhende Weltfriedensordnung sei spätestens seit dem 11. September 2001 unter besonderen Druck geraten.  Neue Herausforderungen begründeten die Fälle schwerer Menschenrechtsverletzungen eines Staates gegenüber seiner eigenen Bevölkerung und der extremen Terrorisierung eines Staates durch auswärtige nicht-staatliche Gewaltakteure. Diskutiert wurde das Für und Wider der Anerkennung eines Rechts zur so genannten humanitären Intervention.