Die Kammer 8a des Verwaltungsgerichts Münster hat mit Urteil vom 8. März 2017 die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, einer Familie aus Syrien, der vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bereits der sogenannte subsidiäre Schutz gewährt worden war, die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Damit hat die Kammer der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen widersprochen, das mit Urteil vom 21. Februar 2017 (Az. 14 A 2316/16.A, www.nrwe.de) einen generellen Anspruch syrischer Flüchtlinge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft verneint hatte.

In den Entscheidungsgründen des Urteils heißt es unter anderem: Aus Deutschland zurückkehrende syrische Asylbewerber müssten grundsätzlich mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nach ihrer Rückkehr mit einer politischen Verfolgung durch das Assad-Regime rechnen. Unter Auswertung der vorliegenden Erkenntnisse vermöge sich das Gericht der im Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 21. Februar 2017 gegebenen Begründung für seinen Wechsel der ständigen Rechtsprechung nicht anzuschließen. Die Erkenntnislage gebe zur Überzeugung der Kammer entgegen der Begründung des Oberverwaltungsgerichts her, dass aus dem Ausland Rückkehrende nach wie vor durch das syrische Regime befragt würden. Es sei bekannt, dass die syrischen Sicherheitsdienste de facto im rechtsfreien Raum agierten und im Allgemeinen Folter in größerem Maßstab anwendeten. Dabei werde den Rückkehrern nicht nur vorgeworfen, Missstände in Syrien angeprangert und den syrischen Staat international in ein schlechtes Licht gerückt zu haben, sondern sie würden auch beschuldigt, dem als feindlich angesehenen Westen mögliche Argumente für ein diplomatisches oder gar militärisches Vorgehen gegen das Assad-Regime geliefert zu haben. Auch wenn dem syrischen Staat bekannt sei, dass die übergroße Zahl der syrischen Asylbewerber vor den Gefahren des Bürgerkriegs nach Westeuropa geflohen sei, folge daraus nicht, dass Rückkehrern generell keine regimefeindliche Gesinnung unterstellt werde. Das verbale Bekenntnis des syrischen Staatspräsidenten vor der ausländischen Presse aus dem Jahr 2015, bei der Mehrheit der Flüchtlinge handele es sich um „gute Syrer und Patrioten“, führe ersichtlich nicht weiter. Es fehle dem obersten Repräsentanten des syrischen Unrechtsregimes, das massenhaft seine eigenen Staatsangehörigen unterdrücke, foltere und töte, bereits an jeglicher Glaubwürdigkeit. Daher vermöge sich das Gericht auch nicht der Begründung des Oberverwaltungsgerichts anzuschließen, die Annahme, das syrische Regime erkenne nicht, dass die Masse der Flüchtlinge vor dem Bürgerkrieg fliehe, hieße, ihm ohne greifbaren Anhalt Realitätsblindheit zu unterstellen. Für die Annahme einer drohenden politischen Verfolgung spreche zudem die vom Assad-Regime wie auch von anderen Konfliktparteien angewandte so genannte Reflexverfolgung, bei der ganze Familien, Stämme, religiöse und ethnische Gruppen sowie Städte und Dörfer zum Ziel von Vergeltungsaktionen würden. Auch minderjährige syrische Staatsangehörige, die selbst oder über ihre Eltern in Deutschland Asyl beantragt hätten, hätten im Falle ihrer Rückkehr nach Syrien Verfolgung durch syrische Hoheitsträger zu befürchten. Kindern drohten Verfolgungsmaßnahmen, weil sie als Druckmittel gegen Eltern, Familienangehörige oder Verwandte infrage kämen, die wegen ihrer tatsächlichen oder vermuteten Überzeugung im Visier des Assad-Regimes sein könnten. Zudem bestehe im Fall des Klägers zu 1. die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung durch den syrischen Staat, weil er sich durch seine unerlaubte Ausreise aus Syrien dem Militärdienst entzogen habe und deswegen als Regimegegner betrachtet werde.

Gegen das Urteil kann innerhalb eines Monats nach Zustellung die Zulassung der Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen beantragt werden.

Das Urteil wird in Kürze in der Rechtsprechungsdatenbank www.nrwe.de veröffentlicht.

(Az.: 8a K 3540/16.A – nicht rechtskräftig)